Stellen Sie sich vor, in Ihrem Team ist etwas schiefgelaufen: Ihr Kollege hat eine Deadline nicht eingehalten, obwohl er im Vorfeld versichert hatte, er würde den Termin sicher schaffen. Jetzt steht das ganze Team vor einem mittelgroßen Desaster: Der Kunde ist sauer, der Chef auf 180 und ob der Umsatz noch kommt, ist auch fraglich.
Was wäre Ihr erster Impuls in einer solchen Situation?
Die meisten Menschen reagieren mit Kopfschütteln und der Frage: „Warum hat er bloß so getan, als würde alles laufen?“ Oder: „Warum hat er einfach die Deadline gerissen und niemandem Bescheid gegeben?“
Kurz: Sie stellen die Warum-Frage. Reflexhaft.
Doch so sehr die Warum-Frage ihre Berechtigung hat, sie ist nicht hilfreich, um das Problem zu lösen. Der Grund: Die Warum-Frage kommt selten allein. Sie erscheint oft in Begleitung von Emotionen (wie Ärger, Frust, Wut, Traurigkeit, Resignation), von negativen Bewertungen („Der kriegt aber gar nichts gebacken!“ oder: „Zeitmanagement ist aber nicht seine Stärke“ oder „Der ist einfach zu doof dafür.“) und sogar von Unterstellungen („Wahrscheinlich hat er es absichtlich gemacht, um uns zu demontieren“).
Je mehr Sie sich ärgern, desto stärker wird Ihre Überzeugung: Der Kollege ist erstens schuld und zweitens entweder dumm oder böswillig. Wenn Sie in diesem Zustand zu ihm gehen, um ihm „Feedback“ zu geben, dann gute Nacht!
Das Feedback wird kein Feedback sein, sondern nur eine Anschuldigung.
Ein solches Gespräch kann gar nicht zu einer Lösung führen, sondern nur zu einer immer distanzierteren Arbeitsbeziehung. Und der Ursprung allen Übels ist die reflexhaft gestellte „Warum“-Frage. Sie enthält nämlich einen indirekten Vorwurf und zwingt den Gesprächspartner in die Defensive.
Dabei sind diese Vorwürfe selten berechtigt. Oft hat der Kritisierte einen guten Grund für sein Verhalten. Doch wer „warum“ fragt, ist nicht interessiert, diesen Grund zu hören. Dabei wäre das nicht nur für die Beziehung gut, sondern auch für die Lösungsfindung. Vielleicht hab es einen technischen Fehler, der zu der Verzögerung geführt hat. Vielleicht war gar nicht der Kollege zu spät, sondern der Kunde hat den Kollegen hingehalten, indem er ihm entscheidende Informationen nicht rechtzeitig hat zukommen lassen. Vielleicht, vielleicht, vielleicht.
Diese Hintergründe erfahren Sie nur, wenn Sie mit einer offenen Haltung zu Ihrem Kollegen gehen, und sich – ohne Vorwürfe, dafür aber mit Interesse und Wertschätzung – nach dem aktuellen Stand erkundigen.
Seien Sie achtsam! Wenn Sie den Warum-Reflex an sich bemerken, und anfangen jemanden zum schwarzen Schaf zu erklären, halten Sie kurz inne, lassen Sie den Reflex an sich vorbeiziehen, und wechseln Sie die Richtung. Das schaffen Sie, indem Sie andere, zielführendere Fragen stellen.